Vom Säumerwesen auf den transalpinen Handelsrouten
Von Bergbauern zu Transporteuren
Die Handelsbeziehungen über die Alpen zwischen den unterschiedlichen Kulturräumen von Nord- und Südeuropa waren schon zur Römerzeit recht intensiv. Die alten Handelsrouten waren jedoch meist schlecht angelegt und kaum unterhalten.
Dies änderte sich im 12. Und 13. Jahr- hundert, als sich in den Berggebieten die Rinderhaltung mit nachgelagertem Handwerk stark ausbreitete. Damit wurden bessere Alp- und Viehtriebwege notwendig. Diese wurden dann bald in oberen Lagen als Saumwege für Lasttiere und in unteren Lagen auch als Fahr- und Schlittelwege für Zugtiere benutzbar gemacht. Die Bergbauern waren zukünftig auch Säumer und Transporteure von Waren und Vieh. Es entstanden gut ausgebaute, unterhaltene, alpenquerende Handelsrouten mit Stützpunkten bzw. Umschlagplätzen (Susten). Dadurch erhielt der Handelsverkehr einen starken Aufschwung. Die Alpenpässe wurden seit dem Mittelalter genauso stark begangen wie heute.
Die Bewohner der Täler kamen so auch immer mehr zu wirtschaftlicher Eigenständigkeit und machten sich politisch weitgehend unabhängig gegenüber den alten Landesherren. Teilweise bildeten sich im Alpenraum Säumer- oder "Rodgenossenschaften" die für eine Etappe verantwortlich waren und damit auch über das Transportmonopol verfügten. So hatten die einzelnen Säumer das Vorrecht, nach einem genau festgelegten Turnus, Transportgut in der Sust zu laden und dieses für einen abgesprochenen Lohn bis zur nächsten Sust zu «erggen» (transportieren). Auf der Sbrinz-Route waren die Säumer aber meist frei von solchen Zwängen. Hier praktizierte man die sogenannte «Strackfuhr». Lose Vereinbarungen haben sich hier immer wieder verändert und führten nicht zu einem Transportmonopol, wie auf anderen alpenquerenden Saumrouten.
Von harten Genossen in rauer Natur
Der Warentransport auf der Sbrinz-Route vollzog sich zum grössten Teil auf den Rücken der Saumtiere, die oft durch rauhe, wortkarge Säumer geführt wurden. Sie mussten ihre Tiere meist selber stellen und hafteten für die ihnen anvertraute Ware. Es gab aber auch Unternehmer, die Angestellte, Meister und Knechte hatten und über ein Dutzend Saumpferde verfügten. An den jeweiligen Zollstationen wurde ein Wegzoll verlangt, um die schwierigen Wege instand zu halten und auszubauen.
Die Säumer waren den Gefahren und Unbilden der Natur ziemlich schutzlos ausgesetzt und viele kamen durch Steinschlag oder Lawinen ums Leben. Trotz ihrer extremen Arbeitsbedingungen war Ihr Charakter meist ehrenvoll. Sie galten bezüglich Redlichkeit, Treu und Glauben als sehr verlässlich. Die Waren, die Ihnen anvertraut wurden, erreichten in der Regel unangetastet und unbeschädigt ihren Bestimmungsort. Die relativ schmalen Saumwege verlangten von den Säumern, dass sie einen abgestimmten Zeitplan einhalten mussten, da sie an vielen Stellen, wegen der sperrigen Ladung, nicht aneinander vorbeikamen. In engen, meist steilen Gebirgsstrecken, standen nur wenige Kreuzungspunkte zu Verfügung. Auseinandersetzungen waren damit vorprogrammiert und die stummen Felswände haben sicher so manchen kernigen Säumerfluch vernommen. Aus dieser Zeit stammt auch die Redewendung: «keine Zeit versäumen», was allerdings durch die gelegentlichen Trinkgelage in den Susten nicht immer einfach war.
Die harten und gefährlichen Lebensumstände der Säumer wurden gewöhnlich durch einen guten Schluck aus einer Weinflasche etwas gemildert. Viele galten als einigermassen trinkfest, zumal ihnen der Wein oft auch als Wegproviant zugestanden wurde. In den rauchgeschwärzten Tavernen der Susten und Zollstationen dürfte es damals ziemlich rustikal und handfest zugegangen sein. Historischen Schriften erzählen einiges über diverse Verhältnisse, Vorkommnisse und Auseinandersetzungen.
Als sich der Handel im späten 19. Jh. auf die Gotthardroute verlagerte, waren es dann fast nur noch die Pomatter (Val Formazza), die regelmässig im Sommer und Herbst alle vierzehn Tage den ganzen Weg der Sbrinz-Route unter die Füsse nahmen. Jeweils am Freitag gingen sie mit Maultierkolonnen nach Domodossola (Italien) auf den Markt. Sie kauften dort Wein und andere Waren, kehrten dann in ihre Dörfer ins obere Eschental (Val Formazza) zurück. Am Dienstag sammelten sie sich und überquerten, jedes Saumtier mit zwei Lageln (Fässern) Wein und vielleicht einem Sack Mais oder Reis beladen, den Griespass. Nach der Übernachtung im Goms erreichten sie am Mittwoch das "Grimselspittel", schliefen später im Wirtshaus zu Guttannen und verkauften am Donnerstag ihre Waren in Meiringen. Gleichentags machten sie sich, die Tiere jetzt beladen mit Sbrinz-Käse, wieder auf den Heimweg, über Grimsel- und Griespass, ins Pomatt.
Im Alter ausgedient und nicht mehr bei Kräften, hatten viele Säumer ein schweres Schicksal zu tragen. Eine Kranken- oder Altersvorsorge gab es damals noch nicht und bezahlte Kuren zur Heilung ihrer berufsbedingten Leiden waren ebenfalls unbekannt.
Nach einem harten, entbehrungsreichen Arbeitsleben endeten sie oft krank, gebrechlich und verarmt.
Von störrischen Saumpferden auf unsicheren Pfaden
Die Saumtiere der Säumer gehörten zu einer besonders wetterfesten und robusten Pferderasse. Sie waren relativ kleinwüchsig, aber stark gebaut und muskulös. Vom Charakter her galten sie als geduldig, vorsichtig, klug aber eigensinnig, was ihnen jedoch eine grosse Trittsicherheit verschaffte. Auf den holprigen und glatten Plattenwegen fanden sie, oftmals sich selbst überlassen, instinktiv die sicherste Wegspur. Es wird berichtet, dass sie manchmal, durch ihr Verhalten, ihre Begleiter vor plötzlichen Unglücken gewarnt hätten. Auf dem Rücken trugen sie spezielle Traggestelle mit Holzhalterungen, an denen Korb- bzw. Holztruhen, Weinfässer, Warensäcke, verpackte Käselaibe etc. befestigt wurden. Später kamen auf den Saumpfaden auch Maultiere zum Einsatz.
In den Stützpunkten mit Susten, in denen übernachtet wurde, gab es Stallungen, Warenlager und Verpflegungsstationen, die jedoch öfters überfüllt waren. Diese hatten natürlich eine besondere wirtschaftliche Bedeutung für die Entwicklung der Ortschaften. Aus den einfachen Gasthöfen und Nachtlagern entstanden später die ersten Hotels.